Von Murmeln und Knöpfen
 
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Ach, der Franz! Nennen wir den Burschen einfach Franz, auch wenn sein richtiger Name anders gewesen sein mag. Denn wir blicken aus dem Abstand von etwa 70 Jahren auf diese kleine Geschichte, die sich dort im fernen Neu Banovci tatsächlich eines Tages in der Schule abgespielt hat. Wisst ihr, was die Kinder in der Pause auf dem Schulhof spielten? Nun, etwas, was allen bekannt ist, was aber nicht mehr alle Kinder spielen – man könnte auch sagen: spielen können. Zumindest nicht auf dem Schulhof. Denn wie sollte heute ein quicklebendiger Bursche mit der Ferse seines Fußes ein Loch in den Boden des Schulhofes scharren können? Das geht doch nicht! Aber damals, in den dreißiger Jahren und genau in Neu Banovci, da ging das. Es war, so erzählte mein und unser Onkel Jakob Kailer in Herrenberg 2009, ein beliebtes Spiel der Kinder. Raus aus dem Klassenraum und rauf auf den Schulhof. Schnell mit der Ferse des Fusses, der mehr oder weniger in einem einfachen Schuh steckte, ein Loch in den Erdboden des Schulhofes gescharrt. Damals waren nämlich die Schulhöfe nicht betoniert und nicht asphaltiert. Das war einfach Lehmboden, so wie die Straßen und Höfe im Ort auch. Nichts leichter als ein Loch in den Boden gemacht! Und dann nahmen die Kinder die Erde, befeuchteten sie mit – na, sagen wir mal ihrem eigenen Speichel – und schon waren die besten Murmeln hergestellt.

Schnell begann der Wettkampf: Wer würde seine Murmeln mit den wenigsten Würfen und Schupfern in das Loch befördern? Und wer würde am Ende die meisten Knöpfe besitzen. Ja, Knöpfe, ganz richtig gelesen und richtig verstanden. Denn die Kinder handelten mit Knöpfen. Sie hatten doch kein Spielgeld, viel weniger richtiges Geld. Womit sollten sie sonst einen Sieger ermitteln, wenn nicht mit Knöpfen? Jeder Bub hatte alte Knöpfe dabei, gesammelt aus den Resten von zu Hause, wenn alte Kleidungstücke oder Bettlaken ausgesondert wurden und selbst die Knöpfe zwecks weiterer Verwendung nicht abgeschnitten wurden. Alte Knöpfe waren ein hervorragendes Handelsmittel der Kinder von Neu Banovci. Wer also die meisten dieser handlichen Dinger hatte, der hatte gewonnen. Nach einer Spielrunde legte jeder Bub die Knöpfe vor sich hin – wer die meisten zählte, hatte gewonnen.

Eines Tages nun zog der Franz beim Spiel auch seine Knöpfe aus der Hosentasche und musste leider einen derselben abgeben, weil er eben verloren hatte. Ich stelle mir den Franz vor: So ein richtiger Bub, nicht zu brav und nicht zu schlimm. Aber doch einer, der eine gewisse Energie ins Gewinnen setze, der etwas wagte und nicht allzu gern in, sondern vielmehr vor die Schule ging. Denn vor der Schule, da konnte man richtig was lernen und leben und sich´s gut gehen lassen. Vielleicht hatte der Franz nicht immer Glück beim Murmelspiel, mag sein. Jedenfalls zog er an diesem Tag einen nagelneuen Knopf aus der Hosentasche, die ansonsten noch manches andere beherbergte. So war es und heutige Leser müssen mir wirklich glauben.

Wie erstaunt schauten die anderen, als sie den blitzblanken weißen Knopf sahen! Und sogleich entwickelte sich ein ziemlich intensiver Wettkampf. Denn wenn der Franz einen solchen Knopf hatte, vielleicht befanden sich derselben noch mehrere in seiner Hose. Und so war es auch! Der Franz verfügte offensichtlich über ein neues Zahlungsmittel, aber nicht über das größte Glück beim Spiel. So kam es, dass er alle seine schönen neuen Knöpfe an einem Tag verlor. Wie ein begossener Pudel muss er wohl nach Hause gegangen sein, vom Unterricht hatte er wohl nichts behalten. Dafür freuten sich die anderen Jungen umso mehr. Denn nun befand sich ihn ihrem doch altertümlichen Knöpfe-Schatz ein richtig funkelnder Juwel.

Natürlich wollten die Jungen in der ersten Pause des nächsten Tages gleich wieder mit dem Franz das Murmelspiel treiben – aber, da kam ein anderes Treiben auf alle, nicht nur den Franz, zu!

Denn an diesem Tag kam noch jemand in die Schule. Und das konnte nichts Gutes heißen. Denn normalerweise hatten Väter und Mütter anderes zu tun, als in die Schule zu gehen. Es war die Mutter vom Franz! Ob Sie nun in die Klasse herein platzte, oder ob sie eine Pause abwartete, oder ob sie genau zum Ende des Unterrichtes auftauchte, wer weiß das schon. Denn es ist ja auch lange her. Aber sie kam und hatte ein Ziel: Sie wollte ihre Knöpfe wieder haben! Denn die hatte der Franz zwei Tage zuvor vom neuen Bettlacken entfernt, mit einer Schere oder einem Messer, wer weiß das schon. Und so mussten alle Murmelspieler der Reihe nach ihre Hosentaschen lehren, die Knöpfe der Reihe nach vor die Mutter vom Franz legen und ohne Wettkampf die schönen weißen Knöpfe abgeben. So war das damals auf dem Schulhof in Neu-Banovci. Welches Spiel dann zu Hause beim Franz abging, wir wissen es nicht und lassen es auch weiterhin ein Geheimnis sein.
 
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